Wohl dem, der bei den Spritpreisen noch seinen Roller hat…
Sprit über zwei Euro? Das ist nicht schön, motiviert aber zu Alternativen. Was waren das noch für Zeiten, als jene wasserstoffblondgefärbte Grazie eine Straße weiter mit ihren langen Absätzen und kurzen Hauptsätzen die rd. 900 Meter zur örtlichen S-Bahn – Station in ihrem geliebten Auto zelebrieren konnte. – Schon während ich beim genüsslichen Einsteigen eben dieser Grande Dame in ihr Gefährt auf meinem Fahrrad an ihr vorbeisausen konnte, freute ich mich über die Gewissheit, dass ich gleich früher da sein würde als sie. Das war mir wichtig. Warum? Nun, nach dem Anschließen meines Fahrrads ist es längst zu meinem morgendlichen Ritual geworden, ihr bei der Parkplatzsuche zuzusehen, denn die anderen Autofans aus dem Dorf hatten ihr geliebtes Automobil natürlich alle etwas früher abgestellt, und zwar gerade so, als hätten sie sich alle miteinander abgesprochen.
Was also machen die gestiegenen Preise mit uns? Funktionieren die Marktmechanismen? Überdenken wir nach gestiegenen Preisen im Angebot unsere Nachfrage? Man sollte es nicht verallgemeinern, aber es verwundert schon, dass geradezu wie ein erster Reflex der Ruf nach dem Staat durch die Medien hallt und fast zeitgleich der Wettbewerb in der Politik um die verrücktesten Ideen im Kampf um jede Wählerstimme entbrennt, wie man denn jetzt bloß „den Sprit wieder billiger machen“ könnte. Kein Wort mehr darüber, dass Unternehmen die Mehrwertsteuer ohnehin vollständig über die Umsatzsteuervoranmeldung vom Finanzamt auf ihr Konto cash zurückerstattet bekommen und der Sprit für sie damit ohnehin bereits 19 % günstiger ist. Mit oder ohne Energiekrise. Aber was ist mit den sozial schwachen, die wiedermal von allem am stärksten betroffen sein dürften, wenn sie mit ihrem Gefährt zu Arbeit müssen und keine Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel haben? Was ist mit dem kritischen Hinterfragen, ob denn in einem Drei-Personenhaushalt wirklich drei Autos nötig sind? Was ist mit der verrückten Idee von Fahrgemeinschaften oder gar einem autofreien Sonntag? Das soll es ja alles mal gegeben haben. Und ich bin mir sicher: Es finden sich jetzt tausend Argumente dagegen. Gegen alle bislang ausgeführte! Als Politiker würde diese Position für mich jetzt sogar EDEKA bedeuten: ENDE DER KARRIERE! Da bin ich sicher! Aber ist ein sich selbst hinterfragender Umgang mit gestiegenen Spritpreisen wirklich so abwägig? Gibt es überhaupt keine Synergien in unserem eigenen Verhalten, das wir im Umgang mit dieser neuen Situation nutzen könnten? Und Hand auf`s Herz: Jeder von uns hat da noch Luft nach oben. Der eine mehr, der andere weniger, oder nicht?
Und was die öffentlichen Verkehrsmittel betrifft: Ja, manche Anbindungen lohnen sich nicht. Manche abgelegenen Ortschaften lasten bestimmte Verbindungen einfach nicht aus, verursachen mehr Kosten als Nutzen. Aber wer sagt denn eigentlich, dass sich das rechnen muss? In der Literatur dazu findet sich ein, wie ich finde, gelungener Begriff: Staatliche Daseinsvorsorge. Der Staat ist da, wo es sich eben kaufmännisch nicht für private lohnt. Der Staat sorgt für die lebenswichtigen Grundbedürfnisse, das heißt auch Teilhabe, das heißt auch Verbindung zu und von alten Menschen zur nächstgelegenen Einkaufsmöglichkeit, Arzt oder Apotheke. Das muss sich nicht rechnen. Deswegen macht es der Staat. Dafür ist der Staat da. Nicht dafür, dass wir uns nicht mehr hinterfragen und prüfen müssen, uns von liebgewonnenem zu trennen.
Es verwundert auch, dass das Thema der Kostenentlastung durch das Homeoffice, wie z. B. entfallende Sprit- und Fahrkartenkosten zur Arbeit in den Medien kaum wahrnehmbar war. Eine ausgewogene Diskussion geht ja eigentlich anders. Eigentlich. Aber was soll`s. Eigentlich soll man ja schließlich auch mehr Gemüse essen. Es soll hier auch nicht verallgemeinert werden, es soll alles nur ein Anstoß sein, die Gesellschaft und sich selbst nicht der eigenen Möglichkeiten zu berauben. Es soll lediglich zeigen, dass erhöhte Spritpreise mehr bedeuten kann, als der stereotype Ruf nach dem Staat. Ich jedenfalls freue mich, dass ich noch mein Fahrrad hab. Roller fahren macht übrigens richtig Spaß! Bleibt gesund!