Eltern – Zartbitter
Alles hat seine Zeit. Und jede Zeit ist irgendwie anders schön. Das klingt jetzt irgendwie pathetisch, aber das ist genau das, was ich mir manchmal denke, wenn ich meinem – sagen wir – illustren Bekannten mit seiner – sagen wir – „eigentlich“ erwachsenen Tochter zuhöre.
Denn diese Tochter ist…, sie ist wie sie ist, und sie ist auf jeden Fall besonders:
Da wäre mal der Anruf aus Sri Lanka, dass sie jetzt mit ihrem Mietwagen im Schlamm stecken geblieben ist (der Papa war eigentlich auf dem Weg zum Sport), mal der Umzug in den dritten Stock (mit anschließender Laminatverlegung als Überraschung für ihren Freund), dann der Anruf, dass dringend Kopien aus den vergangenen drei Jahren und den Zeugnissen dazu benötigt werden, und vergessen möchte ich auch nicht den Ärger, als er den Honig aus ökologischem Anbau nicht mehr bekommen hat und nun den Honig aus konventionellem Anbau versuchte, mit nackter Verzweiflung hastig in das alte Öko – Honigglas hinein zu vergewaltigen (mit einem Gefühl der Schwerstkriminalität) immer in der Hoffnung, dass die Panscherei nicht auffliegt. Aber als mir dann ebendieser Papa, übrigens einer der liebsten Menschen, die ich kenne, schließlich dann auch noch erstaunlich ruhig offenbarte, er müsse diesmal für seine Tochter noch vegane Schüssler – Salze besorgen, verlor ich dann doch die Beherrschung. – Vor Lachen! Vegane Schüssler – Salze! Da musst du erstmal drauf kommen!
Ich verzog mich schnell in ein Zimmer für mich allein, lachte und fragte mich: Was ist das? Was geschieht hier? Was war das alles bisher? – Und schon begann ich, alles aufzuschreiben. Es war der Auftakt für mein Theaterstück über das sogenannte „Emty – Nest – Syndrom“. Das ist die Phase, die Eltern nach dem Auszug des erwachsenen Kindes oder der erwachsenen Kinder aus einem Haus erleben, das einem jetzt plötzlich doppelt so groß und leer vorkommt. Eltern kennen das wohl. Wir (noch) nicht. Und letzteres ist dann wohl auch der Grund, warum ich all das so distanziert wahrnehmen und aufgreifen kann. Für meine Komödie „Eltern – Zartbitter“ war fortan der Grundstein gelegt. Dieser Vater war für mich einfach nur lieb. Und vor dem Herauskramen der alten Hubschraubereltern – Metapher sei dazu gesagt, dass dieser Vater sachlich, ruhig und weit entfernt von einer Überheblichkeit war. Ein durchweg angenehmer Zeitgenosse ohne jeden besserwisserischen Missionierungsauftrag. So jemand war und ist mir um Längen lieber als jene scheinbar dauernd unterzuckert wirkenden Eltern bei denen man nur nach mindestens fünfundvierzigminütiger Elterndiskussion über die Farbe der Schul-T-Shirts und dauerpropagiertem Mindeststresslevel dazugehört.
Meine Ohren waren nämlich im Laufe der Zeit auch längst geschärft für die Monologe jener Eltern, die einem das Kind permanent als Wissenschaft zu erklären versuchen. Es beginnt mit dem rechtzeitigen Durschlafen, dem Zufüttern, den Monologen über die Betreuung, ihrer eigenen wichtigen Berufstätigkeit, der angeblich „…beknackten…“ Schule, der ja ach so furchtbaren Pubertät und mündet nun im Beklagen der so schnell vorangeschrittenen Selbstständigkeit. Kein Wort mehr über die Verklappung des Kindes mit drei Jahren (oder früher!) in die Selbstständigkeit des Kita – Daseins, weil das spielen mit anderen Kindern ja für die Entwicklung des „Schatzis“ soooo wichtig ist. Und sicher wäre das hier jetzt auch die Stelle, an der ein kleiner Diskurs über das zum Teil respektlose, arrogante Verhalten mancher Eltern gegenüber den weit über den Dienst nach Vorschrift hinaus eigeninitiativ und unter schweren Rahmenbedingungen arbeitenden Lehrkräften angebracht wäre. Es wäre auch ein Diskurs über die proaktiv notwendige Mitarbeit der Gesellschaft an der Wertschätzung des Lehrerberufs, anstatt sich über den „plötzlichen“ Lehrermangel und darüber zu wundern, dass die Lehramtsstudenten schon in den Vorlesungen vor dem Burnout gewarnt werden, während das Meckern der Eltern über die Schule mit einem Aperol-Spritz in der Hand inzwischen als schick gilt.
All das habe ich in dieser Komödie mal ausgeblendet. Ja. – Es darf nämlich jetzt auch mal gelacht werden, denn auch das ist nötig. Nehmen wir uns einfach mal nicht so ernst. Nicht so wichtig. Für rund 90 Minuten. Lehnen wir uns mal zurück und betrachten wir uns mal selbst und wie es aussieht, wenn wir wieder zu zweit zu Hause sind und uns fragen, was wir mit diesem neuen Lebensabschnitt als Eltern anfangen. Es darf gelacht werden, und das nicht zu knapp. Denn vergessen wir nicht: Alles hat seine Zeit. Und jede Zeit ist irgendwie anders schön. Versprochen!